Der wichtigste Wert aller Zeiten

“Welche Werte sind Ihnen persönlich wichtig?” So lautete die erste Frage eines Fragebogens, den wir vor einer Woche 9 Mitarbeitern der Abteilung eines größeren Unternehmens gestellt haben.

Diese Frage hatten wir offen formuliert, also keine Werte vorgegeben. Na, was meinen Sie, welcher Wert am häufigsten genannt wurde? Oder machen wir es so: Beantworten Sie bitte selbst einmal diese Frage. Am besten jetzt gleich. Schriftlich. Dankeschön!

Zwei persönliche Umfragen und zwei repräsentative Umfragen
Können wir weitermachen? Okay, ich nehme an, Sie haben mitgespielt. Dann kann ich Ihnen das Ergebnis sagen: Am häufigsten genannt wurde “Ehrlichkeit”: Sieben von neun Befragten führten “Ehrlichkeit” an. Sechsmal stand dieser Wert an erster Stelle. Ich habe daraufhin dieselbe Frage gestern auf dem Netzwerktreffen von Christen in der Wirtschaft (CiW) gestellt. Auch hier landete “Ehrlichkeit” mit Abstand auf Platz 1.

Das sind keine repräsentativen Umfragen? Stimmt, aber erstens ist das hier ein Tagebuch und keine Studie. Und zweitens werden meine nicht-repräsentativen Umfragen von anderen Umfragen bestätigt. Wie z.B. durch eine Umfrage von Readers Digest vom Juli 2007. Von 24 vorgegebenen Werten schaffte es “Ehrlichkeit” an Platz 1 und verwies die Werte “Familie” und “Gerechtigkeit” auf die Plätze 2 und 3.

Im Ethik-Monitor der Stiftung Wertevolle Zukunft 2006 landete Ehrlichkeit ebenfalls auf Platz 1. Befragt wurden 1002 bzw. 1003 Personen. Ich hoffe, meine Umfragen wirken nun etwas repräsentativer.

Aber ich glaube, Sie und ich, wir brauchen keine Umfragen. Denn uns beiden ist Ehrlichkeit ebenfalls wichtig. Dann ist ja alles ganz einfach, oder?

Warum ist der wichtigste Wert der wichtigste Wert?
Wir müssen nur ehrlich sein, u.a. gegenüber Kunden, Mitarbeitern und Partnern (beinahe hätte ich die Familie vergessen). Wenn alle diesen Wert wichtig finden, werden sich doch auch alle daran halten, oder? Also wirklich einfach? Leider nein! Denn warum gilt “Ehrlichkeit” als wichtigster Wert?

Zunächst einmal, weil wir wissen wollen, woran wir sind. Das erleichtert uns Beziehungen und Entscheidungen ungemein. Ich fürchte jedoch, “Ehrlichkeit” gilt aus einem anderen Grund als wichtigster Wert: Weil gegen keinen Wert so häufig verstoßen wird – nach dem Motto: “Sag’ mir bitte immer die Wahrheit, aber erlaub’ mir hin und wieder mal ‘ne Notlüge”. Und warum? Vielleicht hilft uns der folgende Salomo-Spruch weiter:

“Kaufe Wahrheit und verkaufe sie nicht” (Sprüche 23,23)

“Kaufe Wahrheit”: Das heißt, dass Wahrheit etwas kostet! Und diesen Preis will man eben nicht immer bezahlen. Was kann die Wahrheit oder die Ehrlichkeit denn kosten? Z.B. dass Sie einen Auftrag nicht bekommen. Oder dass Sie als Trottel dastehen, weil klar ist, dass Sie eine Sache vergeigt haben. Oder dass Sie mehr Steuern bezahlen. Oder dass Sie eine gute Beziehung gefährden . Ich höre hier mal auf. Die Reihe lässt sich beliebig fortsetzen.

Wie zahlt sich die Investition in den wichtigsten Wert aus?
Doch wenn Wahrheit eine Investition ist, müsste man auch etwas dafür bekommen. Und was bitteschön? Die schlechte Nachricht zuerst: Wie das mit vielen Investitionen so ist – der Return lässt lange auf sich warten. Er kommt später, als einem lieb ist. Die gute Nachricht: Sie bekommen etwas, das Sie nicht mit Geld kaufen können. Ich mache mal einen Versuch. Sie bekommen:

  • Vertrauen: “Dir kauf’ ich das ab.”
  • einen guten Ruf: “Dem kannste glauben.”
  • Sicherheit: “Wer lügt, muss ein gutes Gedächtnis haben.” (Theodor Heuß)
  • inneren Frieden: “Ein ruhiges Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.”
  • Vergebung, Entgegenkommen: “Schon in Ordnung.”

Lügen, auch Notlügen bergen eine Gefahr, die Salomo folgendermaßen beschreibt:

“Süß [schmeckt] dem Mann das Brot der Lüge, aber hinterher ist sein Mund voller Kies.” (Sprüche 20,17)

D.h. Lügen können kurzfristig nützen, aber sie haben kurze Beine! Ehrlichkeit kostet vielleicht kurzfristig, zahlt sich aber langfristig aus. Heißt das, Sie werden reich, wenn Sie nur immer die Wahrheit sagen? Nö, leider nicht. Da muss ich Ihnen leider die Wahrheit sagen: Die Wahrheit zu sagen, kann auch langfristig Nachteile mit sich bringen. Hier gilt dann das Salomo-Wort:

“Besser wenig mit Gerechtigkeit als viel Einkommen mit Unrecht.” (Sprüche 16,8)

Übrigens: Mit diesem Artikel gebe ich Ihnen nicht den Freibrief, den Leuten die Wahrheit ins Gesicht zu schmettern. Sagen Sie die Wahrheit, ja! Aber sagen Sie sie in Liebe!

Kommentare (3)

  1. Der letzte Absatz drückt das eigentliche Problem mit der Ehrlichkeit aus: Wer immer die Wahrheit sagt macht sich sehr schnell sehr unbeliebt, denn die Wahrheit tut mitunter weh – selbst wenn sie “in Liebe” gesagt wird.
    Und ich fürchte, dass es vielen schon schwer fällt, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Da wird beschönigt, verharmlost und verdrängt – und das funktioniert nur, wenn die anderen mitmachen.
    Also: “Sag mir bitte die Wahrheit – aber nicht immer.” Das wird schon Kindern beigebracht: Wenn das Geschenk von Oma nicht gefällt, wird trotzdem brav gelächelt und “Danke, gefällt mir” gesagt. So wichtig ist es den Leuten mit der Wahrheit nämlich am Ende leider doch nicht.

    • Und was sagt Oma dazu? Vordergründig mag sie sich freuen über das “Danke, gefällt mir.” Und zunächst einmal ärgert sie sich, wenn es heißt “Danke, aber mag ich nicht” (“Danke” kann man ja trotzdem sagen, ohne zu lügen, oder?).
      Doch wenn Oma schlau ist, wird sie sich später über diese ehrliche Antwort freuen. Weil sie dann nämlich gefragt hat, was die Enkelin denn haben möchte, und so – vorausgesetzt, dass sie schlau ist – das Richtige schenkt. Und sie kann sich sicher sein!
      Aber Sie haben Recht: Es gibt auch nicht-schlaue Omas und bei denen macht man sich in der Tat unbeliebt. Hier gilt dann das Salomo-Wort: “Zu den Ohren eines Toren rede nicht, denn er wird deine klugen Worte verachten!” (Sprüche 23,9)
      D.h. ja nicht “hier ist Lügen erlaubt”, sondern: “Bitte halte Dich in diesem Fall mit Deinen Worten zurück!” Ich glaube jedoch, dass die meisten – ob Oma oder nicht – doch schlau sind und die (zunächst) unangenehme Wahrheit zu schätzen wissen.
      Ich habe selbst das Experiment durchgeführt. Als ich in Bologna studierte, war ich oft zum Essen eingeladen bei einer Frau, die ich “Nonna” nannte – zu deutsch: “Oma”. Und die kochte wunderbar. Nur den Nachtisch, auf den sie besonders stolz war, den mochte ich nicht. Ich habe meinen Mut zusammengenommen und es Nonna gleich beim ersten Mal gesagt. Und wurde künftig vom Nachtisch verschont. Unser Pasta-Verhältnis hat darunter nicht gelitten – im Gegenteil. Nonna war eben eine schlaue Oma.

      • Im kleinen Rahmen mögen die Konsequenzen noch erträglich sein (oder nicht vorhanden), wenn es aber um mehr geht, als nur den Nachtisch, kann es schon schwieriger werden.
        Heißt also: Zur Wahrheit gehört Mut. Und ein bisschen auch die Missachtung gesellschaftlicher Werte oder sozialer Verhaltensrichtlinien, die das Zusammenleben ermöglichen (zum Beispiel “Mitgefühl”, “Gehorsam gegenüber Autoritäten”, “Rücksicht” etc.pp.)
        Unbenommen bleibt: Die Wahrheit ist nicht zwingend durch denjenigen, der sie ausspricht, beschränkt, sondern eher ein Problem derer, die sie nicht verkraften können. Da der Unmut über die Wahrheit sich dann regelmäßig bei dem entlädt, der die Wahrheit spricht, spricht der irgendwann nicht mehr die Wahrheit ;-) (es sei denn er ist echt mutig)
        Empfehlung: http://www.amazon.de/Du-sollst-nicht-l%C3%BCgen-ehrlich/dp/3570100448
        Spannend wäre ja zu erfahren, ob ein Politiker, der immer die Wahrheit sagt, wirklich die Chance hätte, gewählt zu werden… aber das werden wir wohl leider nie erfahren ;-)