Sie brauchen eine Vision!
Ich bin ein kleiner Fan von Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Ich fand sogar lange den folgenden Satz von ihm toll – mittlerweile aber nicht mehr: “Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.” (Laut Wikipedia über Willy Brandts Visionen im Bundestagswahlkampf 1980, zitiert im Spiegel 44/2002, S.26)
Hört sich zunächst gut an und nimmt all denen das schlechte Gewissen, die keine Vision haben oder keine Vision entwickeln wollen. Zu denen gehörte ich auch, bis ich auf den Entscheider-Coach Kai-Jürgen Lietz traf. Von ihm wollte ich lernen, wie man gute Entscheidungen fällt.
Die Richtung muss klar sein
Doch er gab mir nicht sogleich die Instrumente an die Hand, sondern sagte: “Moment, wir müssen erst klären, was Ihre Vision ist.” — Ich: “Warum das denn?” — Er – und jetzt kam eine trockene Definition: “Entscheidungen sind richtungsgetriebenes Handeln”
Stimmt! D.h., wenn ich nicht weiß, wohin ich will, also nicht die Richtung kenne, dann kann ich auch nicht die richtige Entscheidung fällen. Der römische Philosoph Seneca machte dazu den oft zitierten Spruch: “Wer nicht weiß, welchen Hafen er ansteuert, kann mit keinem Wind etwas anfangen.” Für die Lateiner unter uns: “Ignoranti quem portum petat nullus suus ventus est.” (Epistulae morales ad Lucilium VIII, LXXI, 3)
Ihnen nützen alle Anstrengungen, alle Arbeit nichts, wenn Sie nicht wissen, wohin die Reise geht. In den Worten von Fußball-Kommentator Günter Netzer heißt das so: “Ihre Laufbereitschaft kommt nicht zum Tragen, weil sie nicht wissen, wohin.” zitiert nach “Sprechen Sie Fußball, noch mehr Sprachfouls”[/url], Salzburg 2008
Und was sagt Salomo zu diesem Thema? Er entscheidet sich gegen Schmidt und für Lietz, Seneca und Netzer:
“Wenn keine Vision da ist, verwildert ein Volk” (Sprüche 29,18)
D.h., wenn nicht klar ist, wohin die Regierung will und was sie vom Volk will, dann kann sie es nicht motivieren und zu ihren Zielen anspornen. Sie sehen, das gilt sowohl für einzelne Personen als auch für Unternehmen und Organisationen. Gut, ich war überzeugt: Erst wenn ich eine Vision habe, kann ich auch die richtigen Entscheidungen fällen. Also, her mit der Vision! Doch was ist überhaupt eine Vision?
Vision = Traum
Vision kommt aus dem Lateinischen und heißt “Bild” – in unserem Zusammenhang ein Bild von der Zukunft. Welche Merkmale dieses Bild von der Zukunft hat, lesen Sie am besten in der Entscheider-Bibel von Kai-Jürgen Lietz nach.
Hier nur folgendes: Die Vision muss ein mutiges, ein großes Bild von der Zukunft sein. Wie ich darauf komme? Schauen wir uns das Wort an, das Salomo verwendet: Das hebräische Wort “chazon” bezeichnet einen Traum oder eine Offenbarung. Sie kennen bestimmt den Spruch von Martin Luther King: “I have a dream that one day …” Wie Sie zu Ihrem Traum, zu Ihrer Vision kommen – das erfahren Sie hier.
Alexander -
Das hört sich tatsächlich einleuchtend an: “Wenn ich nicht weiß, wohin ich will, …, dann kann ich auch nicht die richtige Entscheidung fällen.”
So weit, so gut. Ich brauche also eine Vision, ein Bild von der Zukunft, noch dazu ein mutiges, ein großes Bild von der Zukunft. Doch leichter gesagt als getan. Mir ist das bislang immer sehr schwer gefallen, eine solche Vision zu entwickeln. Hinzu kommt, dass die große Vision zu vielen Alltagsentscheidungen, zumindest auf den ersten Blick, keinen erkennbaren Bezug hat.
Ich hoffe also sehr auf die Fortsetzung: Wie ich zu “meinem” Traum und zu “meiner” ganz persönlichen Vision komme, das will demnächst gerne hier erfahren.
Übrigens hat US-Schauspieler Tom Cruise einmal in einem Interview gesagt: “Egal, was in meinem Leben passiert – ich werde doch immer die Wahl haben. Ich kann mich für oder gegen etwas entscheiden. Und ich bin überzeugt, stets die richtige Entscheidung treffen zu können.”
Nun, ich bin überzeugt, dass der gute Tom nicht immer die richtige Entscheidung getroffen haben wird. Aber welch gutes Gefühl muss es sein, mit einer Vision stets die richtige Entscheidungsgrundlage zu haben.
Herzliche Grüße Alex M.
Ralf Lengen -
Ich weiß auch nicht, ob die Vision jede einzelne Alltagsentscheidung (“nehme ich eine Pizza Salami oder Pizza Thunfisch?”) beeinflusst. Aber ich glaube, die Vision hat mehr Einfluss als einem jetzt in der abstrakten Diskussion vor Augen steht. Warum? Weil sie mir hilft, bei vielen Entscheidungen den inneren Schweinehund zu überwinden.
Nehmen wir als Beispiel eine einfache Vision: “Ich sehe mich die Ziellinie des New York Marathons erfolgreich überqueren” (für mich leider ein großes Bild von der Zukunft!). Diese Vision hilft mir, morgen früher aufzustehen, um zu joggen. Sie hilft mir, das richtige Essen zu wählen. Und hier könnte die Entscheidung “Salami oder Thunfisch?” tatsächlich von der Vision beeinflusst werden. Denn ich frage mich, was nützt oder schadet mehr meiner Vision, in diesem Fall: Was hat mehr Kalorien? Und wofür würde sich ein professioneller Langläufer entscheiden.
Bei mir persönlich würde diese Vision das Leben umkrempeln. Meine Vermutung: Wir wollen keine Vision, weil wir wissen, welchen Preis wir dafür jetzt im Alltag zahlen müssen. Und diese Verbindlichkeit wollen wir nicht eingehen.
Frank Schönbach -
Ich hörte einmal eine sehr treffende amerikanische Formulierung zum Thema (Zukunfts-)Vision: If you aim at nothing – you surely will get it!
Kai-Jürgen Lietz -
Vielen Dank für die nette Erwähnung in diesem Beitrag. Hier ist schon viel Richtiges gesagt worden. Daher nur noch ein paar Anmerkungen.
Unsere Vision sollte ganzheitlich sein. Der Marathon ist ein schönes Bild, aber warum wollen Sie einen Marathon machen? Nicht jeder wird gerne einen Marathon laufen wollen. Daher ist jede Vision einzigartig wie sein Schöpfer und enthält nur das, was wir auch wirklich wollen. Wer eine Vision erarbeitet macht das, um seine Freiheit als Entscheider tatsächlich leben zu können und seine Kräfte darauf zu fokussieren, was er wirklich will. Wir können uns selbst testen, wie oft wir im Alltag etwas machen, was wir NICHT wollen. Wenn wir es selbst nicht wissen, dann sagen uns eben andere, was wir zu wollen haben.
Sagt uns unsere Vision für eine Alltagssituation nicht, was wir in diesem Moment wollen, dann ist das ein klarer Hinweis, dass wir in unserer Vision noch Lücken haben. Ich sehe das jeweils als Chance und nicht als Mangel an. Viele denken, dass unsere Vision aus schönen Dingen bestehen sollte, die wir uns leisten wollen. Doch letztlich sind das nur die Umstände, die wir in der Zukunft sehen wollen.
Viel wichtiger ist es, in den Kern der Vision unsere eigene Person zu stellen. Wer wollen wir in unserer Zukunft sein? Was wollen wir können? Wie fit und gesund wollen wir sein? Was wollen wir unserer Familie, Freunden, Kollegen, Mitarbeitern, Kunden, Partnern bedeuten? Wofür stehen wir? Die Umstände sind oft Folge dieses Visionskerns. Wir machen sie auch zum Teil unseres Zukunftsbilds.
Allerdings unterliegen sie im Zeitablauf am ehesten Veränderungen, weil sich mit unserem persönlichen Wachstum auch unsere Ansprüche ändern.
Ralf Lengen -
Danke für den wichtigen Hinweis: Nicht die Umstände sind entscheidend. Das persönliche Wachstum ist entscheidend! Damit ändern sich dann auch die Umstände. Nicht umgekehrt. Doch nicht alle Umstände sind von uns beeinflussbar: Sie können Ihren Arbeitsplatz verlieren, ohne dass Sie etwas dafür können. Solche Umstände können Sie jedoch besser bewältigen, wenn Sie persönlich gewachsen sind.