Geteiltes Leid ist NICHT halbes Leid

Neulich war ich wirklich wütend! Ich war enttäuscht, ich hatte eineinhalb Tage richtig schlechte Laune – und ich ließ mich auch nicht trösten.

Und das kam so: Ich scanne lustig vor mich hin meine Mails. Und was sehe ich da? Ein Projekt, an dem ich unbedingt teilnehmen wollte, läuft ohne mich! So sagt es mir jedenfalls der Flyer, der dazu publiziert wurde. Und in genau diesen Flyer wollte ich unbedingt mit meinem Namen rein. Die nächste Chance: frühestens in zwei Jahren!

Das Ärgerliche: Ein Kooperationspartner hatte mir zugesagt, dass er sich für mich einsetzt. Er schrieb mir vor drei Monaten auf meine Anfrage (ich hatte tatsächlich zweimal nachgehakt), er habe mich “wärmstens empfohlen”. Das hat aber offensichtlich nichts eingebracht. Warum hat er es nicht geschafft? Warum hat er nicht nachgehakt? Und warum hat er mir nicht Bescheid gesagt, dass es übel aussieht?

Ich war wütend auf diesen Kerl. Ich war wütend auf mich, dass ich mich auf ihn verlassen habe. Was ich brauchte, war – ja, was eigentlich? Jedenfalls keinen billigen Trost! Eine Kollegin versuchte es auf diese Tour: “Ach, das Projekt ist doch gar nicht wichtig!” — Ich: “Das stimmt gar nicht! Es ist sogar sehr wichtig für mich! Ich muss jetzt zwei Jahre auf den nächsten Versuch warten. ZWEI JAHRE!”

Geteiltes Leid gibt es gar nicht
In diesem Moment konnte ich nichts mit diesem Sprichwort anfangen “Geteiltes Leid ist halbes Leid”. Ich merkte nämlich: Ich war mit meinem Leid allein!

Meiner Meinung nach – und die finde ich ziemlich wichtig! – kann sich keiner vorstellen, wie frustriert ich bin und was mir dieses Projekt bedeutet. In Salomos Worten:

“Das Herz kennt sein eigenes Leid, und kein Fremder kann sich in seine Freude mischen.” (Sprüche 14,10)

(Merken Sie: Salomo ist sogar gegen den zweiten Teil dieses Sprichwortes “geteilte Freude ist doppelte Freude” – ich fürchte, weil oft der Neid verhindert, dass man sich mit jemandem uneingeschränkt freuen kann)

Dasein ist besser als Sprüche klopfen
Was heißt das für Sie? Bitte keinen schnellen Trost liefern! Und erst recht keine klugen Tipps oder Sprüche! Was vielleicht hilft: Einfach da sein und Klappe halten. Von den Freunden Hiobs heißt es, als er richtig dick in der Tinte saß, dass sie drei Tage bei ihm saßen und kein Wort sagten. Das war noch gut. Aber als sie anfingen den Mund aufzumachen, kippte die ganze Sache. Hiob sagte zu ihnen (16,2): “Leidige Tröster seid ihr alle!”

Kommentare (2)

  1. Ja, so etwas kann uns schon einmal die Stimmung vermiesen. Die Gegenwart eines anderen kann das Leid nicht teilen. Salomon war ja sehr weise. Daher können wir annehmen, dass noch mehr dahinter steckt. Ob wir Leid oder Freude empfinden hat nur etwas mit uns zu tun. Andere spielen da keine Rolle. Deshalb heißt es ja auch “Das Herz kennt SEIN EIGENES Leid”.
    In Ihrer Geschichte war der Salomon-Manager wütend und er war enttäuscht. Sie sagen ja auch, weil er sich vorher ge-täuscht hat und deshalb wütend auf sich selbst ist. Könnte sich der Salomon-Manager nicht freuen, dass er eine Möglichkeit hat, etwas zu lernen, sich selbst voran zu bringen?
    Manchmal rennen wir Chancen hinterher, anstatt auf unser Ziel zu zu gehen. Wenn dem Salomon-Manager die Mitwirkung in dem Projekt so wichtig ist, warum macht er sich dann nicht unentbehrlich oder startet etwas eigenes, das ihm das Ergebnis sichert? Unser “Leid” ist vielleicht nur ein Signal, das wir nicht übersehen können. Wie wir mit dieser Botschaft umgehen, liegt an uns. Daher ist es wohl auch unser Leid. :-)
    P.S.: Ich freue mich auf weitere Einträge Ihres Tagebuchs.

  2. Lieber Herr Lietz, schön, dass Sie den Blick weg von der Enttäuschung und hin auf die Zukunft gerichtet haben! Da passt es doch schön, dass ich just während Sie den Kommentar geschrieben haben, hier einen Artikel publiziert habe zum Thema “Vision” – und dabei auch Entscheider-Coach Kai-Jürgen Lietz zitiere: http://salomo.de/wordpress/sie-brauchen-eine-vision/

    Die Vision hilft mir dabei, meine Gedanken weg von der verschütteten Milch hin zur Zukunft zu lenken – und zu handeln!